Berlin-Fahrt der GEW – Ortsverband Schorndorf
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft besuchte vom 28.05. bis 31.05. unsere Bundeshauptstadt.
"Was geschieht am Potsdamer Platz?" war das Thema einer Führung über die Großbaustelle, wo noch ein bemalter Mauerrest an die Teilung erinnert. Auch der fünfeckige Verkehrsturm von 1924 wird erhalten. Er regelte den Verkehr von fünf Straßen und lässt erahnen, dass dieser Platz einmal viele Menschen anzog. Nach dem Ersten Weltkrieg stand hier das "Haus Vaterland", mit dem größten Café der Welt, internationalen Restaurants und einem Kino mit 1500 Plätzen. 3500 Menschen konnten sich in diesem Vergnügungstempel aufhalten. Heute sind dort Büros. Man darf gespannt sein, ob nach der Fertigstellung des Platzes wieder so viel Leben pulsiert, wie einst. Das riesige Brachland Gleisdreieck bietet vielleicht Gelegenheit wieder eine Vergnügungsmeile zu schaffen. Mit einer Investition von vier Mrd. Mark hat Daimler-Chrysler schon daraufhin gearbeitet. Daimler-City nennt sich das Gelände, das der Konzern gestaltet hat. Stararchitekt Renzo Piano hat man sich dafür geholt. Seine filigranen Terracotta-Elemente an den Fassaden lassen die Blocks leicht und luftig erscheinen. In Daimler-City befindet sich der Marlene-Dietrich-Platz, wo täglich 1400 Karten für das Musical "Der Glöckner von Notre Dame" verkauft werden. Daneben kann man einen Haufen Geld in der Spielbank verzocken. Die nächste Berlinale wird in Daimler-City stattfinden. Die Musical-Halle wird dafür in ein Kino mit 1400 Plätzen umgewandelt.Wo Daimler-Chrysler so viel Geld investiert hatte, konnte Sony nicht zurückstehen und hat immerhin 1,5 Mrd. im Sony-Center verbraten. Auch dieser Weltkonzern hat einen Stararchitekten gewonnen: Helmut Jahn. Imposant ist die Dachkonstruktion über dem Innenhof, die an einen riesigen Ventilator erinnert.
Natürlich durfte ein Besuch im neuen Reichstagsgebäude nicht fehlen. MDB Hermann Scheer hatte ihn vermittelt, wofür wir ihm sehr danken. Der Reichstag, oder Bundestag - man kann sich streiten, wie man sagen soll - verbindet Vergangenheit und Gegenwart. Den Grundstein hatte Wilhelm I. gelegt. Russische Soldaten haben sich im Mai 45 nach dem Sturm auf den Reichstag mit der Holzkohle zerstörter Möbel im Sandstein verewigt. Man hat diese Inschriften nicht getilgt. Deutsche Geschichte soll am Gebäude ablesbar sein. Der Plenarsaal und die begehbare Glaskuppel darüber gibt dem Reichstag den Ausdruck eines Gebäudes der Gegenwart. Sehr eindrucksvoll war es für uns, in Serpentinen in der Kuppel hochzusteigen und den Rundumeindruck von Berlin als einer Stadt im Umbruch zu erleben. Revolutionär ist das Energiekonzept des Gebäudes. Vier Diesel-Generatoren, mit Rapsöl betrieben, erzeugen Strom und Wärme. Ein unterirdisches Wasserreservoir aus der Eiszeit wird für die Wärmepumpe angezapft, dient aber auch der Kühlung im Sommer. Im Winter wird Wasser gefördert, abgekühlt und für den Sommer wieder nach unten gepumpt. Uns schwirrte der Kopf vor all der Gegenwartstechnologie, die in diesem historischen Gebäude angewandt wurde.
Eine Führung im Szene-Viertel Prenzlauer Berg, wo Bill Clinton mit dem Bundeskanzler kürzlich Schlachtplatte aß, schloss sich an. Aus der Gründerzeit stammend und wenig zerstört, hat dieses Viertel eine intakte Struktur und verfolgt fruchtbare soziale und kulturelle Konzepte. Das Projekt Pfefferberg veranstaltet Festivals mit Tanztheater, ethnischer Musik, mit Jugend-Band-Nächten, in denen sich junge Musikgruppen darstellen können. Man kümmert sich in sozialen Initiativen besonders um die "Lückenkinder". Dieser Begriff ist bei uns unbekannt. Es handelt sich um Kinder, die in der Lücke zwischen Hortalter und Jugendclubalter betreut werden, z.B. auf dem "Abenteuerlichen Bauspielplatz".Das Problem mit den steigenden Mieten nach Sanierung versuchten Mieter in einer Genossenschaft durch eigenen Sanierungen zu lösen. In diesem Viertel findet man sich nicht mit den Umständen ab, man nimmt sein Schicksal in die Hände.Dieses Viertel lebt auch kulturell. An einer grünen Hauswand sieht man grasende Kühe ("Kuhnst"). Der Künstler Dott hat drei Installationen an Hausfassaden geschaffen. Im alten Wasserspeicher mit seinem langen Nachhall und seinen kreisförmigen Gängen finden Kunstveranstaltungen statt: Licht, Klang, Jazz...
Als gemeinsame kulturelle Veranstaltung hatten wir einen Besuch in der "Distel" ausgewählt. Dieses ehemals Ostberliner Kabarett hat seine neue Identität gefunden. Unter dem Titel "Macht was ihr wollt! (Ich mache mit)" zeigte es den Sachsen, der immer Sachse bleibt, den Sachsen, der nach dem großen Geld greifen will - und wie wir Bundesdeutschen wohl alle sind, ob Ossis oder Wessis.
Neben den gemeinsamen Unternehmungen hatte noch jeder genügend Zeit sich in Berlin umzusehen und sich sein ganz persönliches Urteil über diese Stadt im Umbruch zu bilden. Wir waren uns einig: Man muss in einigen Jahren wieder herkommen um zu sehen, was sich verändert hat und wo das Herz Berlins schlägt.